achtundzwanzig / Containermodus

Dienstag, 30.3.2010 19:55 Bordzeit

Wir haben unseren letzten Eisberg gesehen. Dachten wir jedenfalls. Gestern nachmittag, 61°45‘ Süd. Die Gischt klatscht regelmäßig gegen die Panoramafenster auf der Brücke. Das ganze Schiff ein einziges Schaukeln. Hoch auf die Welle, runter ins Tal. Der Bug taucht tief in die krachenden Seen. Schießt salzige Fontänen hoch aufs Peildeck. Ringsum aufgewühltes Wasser, grauer Himmel, Sturm. Da taucht der Eisberg auf, treibt backbord vorbei. Letzter Gruß aus der Antarktis.

Passt gut zur Abschiedsstimmung. Seit Tagen laufen wir nördliche Kurse. Erst nordwestlich, gegen die Wellen anrollend – ganz schlecht. Grausames Geschaukel, Bachstelzentango, entfesselte Objekte im Raum, zerdepperte Gläser. Jetzt nordöstlich, die Welle im Rücken – wundervoll ruhig, wie Surfen, die Wellen rollen am Schiff vorbei. Wir können mal wieder ein paar Stunden schlafen, ohne ständig von noch nie gefühlten Schüttelschaukelrüttelrollbewegungen aufzuschrecken.

Unser Wetterbericht verheißt für die nächsten Tage wenig Gutes:

Polarstern befindet sich an der Nordflanke eines Sturmtiefs 960 hPa bei 66S / 124W, das sich unter leichter Abschwächung nach Osten verlagert.
Vorhersage bis Dienstagfrüh: Wind um West 7 bis 8, zeitweise 9 Bft. Seegang um 7 m. Ein paar Schauer, sonst mittlere bis gute Sicht.
Aussichten bis Dienstagabend Wind um West um 8 Bft, später etwas nachlassend 7 Bft. Seegang um 7 m. Sicht teils durch Niederschlag reduziert.
Trend bis Donnerstagabend Wind um West um 7 Bft, zum Donnerstag auf 5 bis 6 Bft nachlassend. Seegang anfangs um 6, später um 4 m.

Das wissenschaftliche Programm ist so gut wie beendet. In allen Laboren hat das große Packen begonnen. Proben, Rechner, Papiere, Karten – alles wandert in große, silbrig glänzende, abgestoßene Zargeskisten. Oder in Kühlcontainer. Im Aufzug hängen Papiere des Cargo Mate, des Ladungsoffiziers aus. Bis dann und dann die Frachtliste. Nur auf den Vordrucken aus dem Intranet. Für chemische Abfälle ist eine IMO-DG Deklaration anzufertigen. Abgabe bis Freitag, 16 Uhr 15. Der Bootsmann weist Container zu. Luftfracht müssen Sie selbst bezahlen.

In den Treppenhäusern hängt der Funker bunte DIN-A-4-Zettel aus: Zollerklärung Punta ausfüllen. Letzte Postkarten mit Stempel am Samstag. Letzte E-Mail am Sonntag. Alle Accounts werden abgeschaltet. Zahltag für Getränke: Sonntag, 16 Uhr. Schluss mit lustig. Am Freitag ist Laborabnahme. Vorher muss noch geputzt werden.

Auf dem Helideck schrubben die Piloten ihr Arbeitsgerät. Das sieht lustig aus. Vati putzt am Samstagnachmittag die Familienkutsche. Im Radio läuft die Bundesliga.

Die Wissenschaft hat nicht mehr viel zu melden. Die Mannschaft hat in den Containermodus umgeschaltet. Containermodus heißt verschärftes Zack Zack, ab in den Hafen, ohne Fisimatenten. Da die Mannschaft größtenteils Containerschiffe gefahren hat, ist Pünktlichkeit die oberste Göttin. Jede Minute Liegezeit kostet schließlich Geld. Wir sind für acht Uhr morgens in Punta angekündigt, und wir werden um acht Uhr morgens in Punta liegen. Vielleicht ein paar Minuten früher. Aber auf keinen Fall eine Minute später.

Neulich beim Abendmeeting erzählte der Kapitän, ein japanischer Hafen habe eine Statistik geführt über die Pünktlichkeit der Reedereien, die diesen Hafen anlaufen. Sieger in der Statistik war die dänische Maersk-Reederei. Deren gesamte Flotte hatte im Laufe eines Jahres eine Verspätung von sechs Minuten angesammelt. Sechs Minuten. Im Jahr. Alle Schiffe. Ohne allzu selbstkritisch werden zu wollen: Eine Verspätung von sechs Minuten häufe ich in jeder beliebigen Viertelstunde meines Alltags an. Ohne Schiffe. Weia. Vielleicht sollte man die Deutsche Bahn mal ein paar Reedereien überlassen?

Es war das gleiche Meeting, bei dem Karsten eine Liste der Laborverantwortlichen an die Wand beamte. Also derjenigen, die in ihren Labors dafür verantwortlich sind, das Aufräumen und Saubermachen zu organisieren. Unter Wissenschaftlicher Arbeitsraum Deck A Mitte stand da Kai Voigtländer. Ich sollte mir die Liste mitnehmen. Wahrscheinlich das einzige Mal in meinem Leben, dass ich als Verantwortlicher eines Labors geführt werde. Nun gut, ich werde in meiner Kleingruppe das Reinigen unseres Kamera- und Techniklagers überwachen.

Wenn ich mich an die folgenden, im Intranet unter Laborreinigung publizierten Regeln halte, kann ja nicht viel schief gehen:

„Abnahme der Labore durch 1.Offizier und Fahrtleiter erfolgt am Freitag, den 02. April um 15:00 Uhr. Die Laborverantwortlichen sind während der Abnahme in ihren Laboren anwesend! In Rücksprache mit dem 1. Offizier ist eine vorzeitige Abnahme der Labore gerne möglich.

Folgende Räume, Labore und Container sind zu reinigen:
– alle benutzten Trockenlabore sowie Chemielabor und Nasslabor I
– Pförtnerloge
– Fotolabor
– wissenschaftlicher Arbeitsraum und Aerologielabor im A-Deck
– der Rechner-Userraum
– der Windenleitstand
– das Nasslabor II
– wissenschaftliche Kühlräume

In den Laboren sind zu reinigen:
– Tische und Arbeitsflächen, scheuern
– Befestigungsschienen aussaugen
– Schubladen und Schränke
– Fußboden, scheuern
– Türbereich
– Abflussbecken und Armaturen
– Kühlschränke usw.“

Das bringt mich auf einen anderen Gedanken: In der Blogwerkstatt muss auch dringend gefegt und aufgeräumt werden. Noch vier, fünf angefangene Texte, ein Haufen Gedanken und Ideen, dazu Unmengen von unsortierten Fotos. Also, Blogmatrose Voigtländer, kein Rumgeeiere mehr. Texte laschen, Gedanken hieven, 3 Meter pro Sekunde, alle Winden volle Kraft voraus. Zack Zack, ran an den Rechner!

Heute mittag kam übrigens der nächste letzte Eisberg vorbei. 13 Uhr 30, 60°14‘ Süd. Er leuchtete in der Sonne. Um 16 Uhr 20 haben wir den 60. Breitengrad passiert. Für uns ist die Antarktis Geschichte. Mal sehen, was die Eisberge dazu meinen.