fünfundzwanzig / Gestatten: Mondfisch. Angenehm, Filterbarsch.
Montag, 15.3.2010 19:10 Bordzeit
Ich bin ein Mondfisch.
„Der Mondfisch“, notiert Wikipedia, „(Mola mola von lat. mola Mühlstein, auch Mola, Meermond, Sonnenfisch) gilt als der größte Knochenfisch der Welt.
Der Mola kann über 3 Meter lang, bis zu 4 Meter hoch und maximal 2,5 Tonnen schwer werden und er erreicht ein Höchstalter von wahrscheinlich weit über hundert Jahren. Sein plump wirkender Körper hat eine ungewöhnliche, scheibenförmig komprimierte Gestalt, ein Eindruck, der durch die fehlenden Bauchflossen noch betont wird. Auch ursprünglich vorhandene Organe wie die Schwimmblase und die Schuppen wurden im Verlauf der Entwicklungsgeschichte wieder reduziert und fehlen daher. Die Haut der Mondfische ist 15 cm stark und ist damit die dickste aller Lebewesen. Sie ist mit bis zu 50 verschiedenen Arten von Parasiten und Mikroorganismen besiedelt, die den Mondfisch zum Leuchten bringen können. Molas werden häufig mit Haien verwechselt, da sie oft an der Meeresoberfläche schwimmen und Rückenflossen haben, die ähnlich wie bei Haien aus dem Wasser ragen.“
Ich bin ein Mondfisch. Steht so in meiner Taufurkunde. Die seit einer Woche bei uns auf Kammer liegt. Vor einer Woche war Polartaufe. Seitdem darf ich mich Mondfisch nennen. Wovon ich bislang wenig Gebrauch gemacht habe. Obwohl mir der Name gefiel. Anfangs jedenfalls.
Polartaufe: Das ist eines dieser atavistischen Rituale, mit deren Beschreibung die seefahrende Minderheit der Menschen die landsässige Mehrheit zu erschrecken pflegt. Was für Greuel wurden uns ausgemalt, anläßlich der ersten Reise in den südlichen Polarkreis, zur Initiation in Neptuns Reich! Geschoren würden wir werden, ohne Ansehen von Person und Haarpracht, ein paar Zähne könnten auch draufgehen, außerdem werde man uns in faulige, eigens zu diesem Zwecke aufbewahrte Ex-Lebensmittel tauchen. Und das sei erst der Anfang … essen müssten wir das Zeug dann auch noch.
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Ein lustvolles Spiel mit der Angst, ein Abrastern der Ahnungslosen: Wann fangen sie an zu schlottern? Wann glauben sie es? Wer wird zuerst weich und winselt um Gnade? Wer schneidet sich vorher prophylaktisch die Haare ab?
Nun muss man keine schwachen Nerven haben, um das nicht besonders erheiternd zu finden. Es reicht schon die Erinnerung an all die Geschichten, die man irgendwo gespeichert hat. Von schrecklichen Quälereien zur Aufnahme in irgendwelche, meist militärischen Männerbünde. Aber auf der durchzivilisierten Polarstern wird natürlich niemand gezwungen, dabei mitzumachen. Und der Kapitän wacht persönlich über die Einhaltung der Menschenrechte.
Und so war es dann: sehr lustig. Unglaublich albern. Ein wüstes Spektakel, eine Orgie in eisig-kaltem Wasser, eine anarchische Schlammschlacht aus den wilden Tagen des Karnevals. Die armen Täuflinge aus der marinen Geologie mussten besagten Schlamm am Vorabend noch eigenhändig mit dem Kastengreifer vom Meeresboden holen – nicht ahnend, dass ihnen die kalte graue Masse am nächsten Tag über den Kopf geschmiert und mit überdimensionalen Spritzen in die Hosenbeine gedrückt werden würde.
Höchst seriöse Wissenschaftler hatten sich in unglaubliche Verkleidungen gezwängt. Der Wetter-Max als Neptun mit Dreizack und verfilztem, geflochtenen Rauschebart. Der ozeanographische Andreas als Neptuns Frau Thetis, durchaus blond gewellt und wallend, mit eindrucksvollen Plastikbrüsten und einem halbtransparenten Fischernetz über dem Ölzeug. Und Christina, die Stewardess, mit einer Betontolle unbenennbarer Farbigkeit als Chefin des Salons Flotte Locke.
Und, jenseits aller Alberei, eines muss man sagen: Bei der Namensgebung haben sich die Täufer wirklich viel Mühe gegeben und treffende Namen ersonnen.
Florian, der mit dem Hubschrauber und einer Messsonde magnetischen Anomalien auf der Spur ist, haben sie Seeanomalilie genannt. Astrid, aus den gleichen Gründen ständig mit dem Hubschrauber unterwegs, heißt Heli-Engelsfisch. Ralf, einer der beiden Geodäten und GPS-Vermesser an Bord, hat den Namen Wanderkoordinatenalbatros verliehen bekommen – was er mit einer Spannweite von gefühlten vier Meter achtzig eindrucksvoll ausfüllt.
James, James Smith vom British Antarctic Survey darf sich jetzt Latimeria chalumnae, auf deutsch: Komoren-Quastenflosser nennen. Was einerseits ein wirklich sehr, sehr seltenes Tier bezeichnet. Seinen Witz bezieht es aber vor allem aus der Tatsache, dass ein gewisser James Smith das erste gefangene Exemplar dieser Art 1939 den Quastenflossern zuordnen konnte. Die hatte man bis dahin für ausgestorben gehalten.
Und Christian, die One-Man-Biology-Show dieser Reise. Christian, der Hektoliter von Ozeanwasser gefiltert hat, auf der Suche nach Phytoplankton, nun, den hat die weise Versammlung der Täufer mit dem Namen Filterbarsch belegt. Christine, die das Wasser aus den grauen CTD-Röhren gleich nach der Entnahme pipettiert und die Fläschchen dann schnellschnell versiegelt hat, damit keine Spur Spurengas entweicht, die heißt – Pipettenfisch.
Jemandem oder auch einem Objekt einen Namen zu geben, darin steckt Magie. Kicherte Rumpelstilzchen und stob um die Ecke. Unbenannt und unerkannt, versteht sich. Benennen kann beschreiben heißen, Eigenschaften oder Wesenszüge. Benennen kann aber auch ein Potential des Benannten ausdrücken, oder einen Wunsch des Täufers an den Täufling.
Die allerschmalste und zierlichste unter den Wissenschaftlerinnen mit dem Namen Pottwal zu belegen: dahinter steckt die freundliche Aufforderung, doch wenigstens ab und zu ein wenig engagierter zuzugreifen bei den dargebotenen Mahlzeiten. Der Räucheraal ist wahrscheinlich ein paar Mal zu oft in den Raucherecken des Schiffs gesichtet worden.
Und wer auf den Namen Laberbarsch getauft wurde, nun, der ahnt wahrscheinlich auch, warum ihm dies geschah.
Ich war mit meinem Mondfisch-Dasein sehr zufrieden. Sehr sympathisch, diese Zuschreibung. Bis ich den Wikipedia-Eintrag in die Finger bekam. Seitdem grübele ich: Plump wirkender Körper, größter Knochenfisch der Welt, dickste Haut aller Lebewesen, über 50 Parasiten – ist das jetzt Beschreibung? Oder Aufforderung? Oder Potential? Was zur Hölle haben die gemeint …?