fünf / Ungeduld
Überfahrt Wellington – Christchurch. Sieben Stunden in sanfter Dünung. Unwirklich, sagt das Gefühl. Monatelang haben wir uns auf antarktische Teperaturen und extreme Wetterlagen aller Art vorbereitet – und jetzt gleiten wir durch diese sanfte, sonnenbeschienene Urlaubsszenerie. Wir sind euphorisch. Die Luft ist klar und prickelt wie Crémant.
Vorbei an den mythischen Hügeln Neuseelands.
Karg bewachsen, sehr entschieden und klar ist diese Landschaft. Fünfter Schöpfungstag etwa. Alles ist schon da, die Bäume und die Wiesen und die Berge und die Täler, die Farben und die Menschen und das Licht, aber alles noch frisch und ungenutzt. Wenn der Morgennebel hoch steigt, dann sind die Kämme der Hügel von weißen Bändern überzogen. An manchen Bergen hängt der Nebel den ganzen Tag als watteleichter Dunst. Guido findet: Island. Mich erinnert es an die griechischen Inseln.
In Christchurch, Ortsteil Lyttelton, bunkern wir Schiffsdiesel. Erstaunlich, wie schnell man den Jargon der christlichen Seefahrt adaptiert: Bunkern. Ausklarieren. Messe. Messe I, für die Mannschaft, Messe II für die Wissenschaftler und die Offiziere. Krähennest – für den Ausguck.
Der Schlauch, der vom Treibstofflager zur Polarstern führt, sieht vom Peildeck nicht viel größer aus als ein Benzinschlauch an der Zapfsäule. Das wird dauern, länger als 24 Stunden. Zwischen 80 und 90 Tonnen übernimmt das Schiff in der Stunde, insgesamt etwa 2500 Tonnen Treibstoff fließen in die Tanks.
Es ist eine eigenartige Stimmung an Bord: Die Reise hat schon begonnen, aber noch geht nichts richtig los. Erst muss der Zoll die Container freigeben und die Polarstern abfertigen. Die Wissenschaftler wollen anfangen, aber ihre Instrumente sind noch verschnürt auf dem Arbeitsdeck. Ungeduld. Wir könnten ja schon mal … Ein bisschen einräumen. Ein wenig einrichten. Die Geräte checken. Aber alles verharrt im Halbschlaf. Landgang bis 15 Uhr. Gegen Mittag verlängert die Schiffsleitung bis 24 Uhr. Zoll und face check kommen erst morgen.
Vor dem Auslaufen sollen wir die Polarstern im Hafen von Wellington drehen. Erhöhter Standpunkt, Supertotale. So lernen wir Dave kennen. Dave Winton, gebürtiger Schotte. Würde auch als Platzwart des FC Aberdeen eine gute Figur machen. Aber er lebt seit 43 Jahren in Neuseeland. Und fährt Kräne oder Laufkatzen über das Hafengelände von Wellington.
Uns kutscht Dave erst mit einem engen Metallkörbchen 40 Meter hoch, dann bringt er uns über Treppen und Gitterrostgänge in seinen Führerstand. Rundumverglast, kameraüberwacht und mit allem denkbaren Steuerungsschnickschnack ausgestattet. Er fährt den Ausleger seines Krans in die Waagerechte und gleitet mit uns über die Kaikante – übers Wasser, bis ans Ende der Traverse. Und lässt uns drehen und fotografieren, solange wir wollen. Zwar sind wir viel zu weit weg von der Polarstern, aber das Panorama ist trotzdem ein Erlebnis. Trotz des Nebels, der sich über die Hügel gelegt hat.
Ein traumhafter Arbeitsplatz. Ja, sagt Dave, an einem Tag wie heute. Heute ist es windstill. Aber normalerweise kommt der Wind hier von links, wenn er nicht gerade von rechts kommt. Und wenn es richtig bläst, dann ist das gar kein Spaß mehr, hier oben.